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Wirtschaftsausblick | China
Das Festhalten an "Null-Covid" würgt die Konjunktur ab und untergräbt das Vertrauen in den Standort. Das Wirtschaftswachstum dürfte 2022 auf rund 3 Prozent fallen.
30.05.2022
Von Roland Rohde | Hongkong
Der im März verhängte harte Lockdown in Shanghai hat das Potenzial, den Wendepunkt des chinesischen Wachstumsmodells einzuläuten. Nur wenige hätten es Anfang 2022 für möglich gehalten, dass die Regierung die wirtschaftlich wichtigste Stadt des Landes für viele Wochen und ohne große Rücksicht auf die ökonomischen Konsequenzen lahmlegt. Zum Teil kam es zu Lebensmittelengpässen der Bevölkerung. Mittlerweile sind die Beschränkungen gelockert, doch eine Rückkehr zur Normalität liegt noch in weiter Ferne.
Auch in Dutzenden anderen Metropolen gab es im Frühjahr 2022 Lockdowns unterschiedlicher Ausprägung. Daran dürfte sich bis zum Herbst oder darüber hinaus wenig ändern. Die lokalen Behörden setzen nach wie vor auf die Durchsetzung der sogenannten Null-Covid-Politik. Die Beamten wissen, dass sie sanktioniert werden, wenn die Pandemie aus dem Ruder läuft. Für die wirtschaftlichen Schäden ihrer teils drakonischen Maßnahmen ist hingegen noch niemand gemaßregelt worden.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 14.737 | 16.981 | 4.224 |
BIP pro Kopf (US$) | 10.437 | 12.018 | 50.771 |
Bevölkerung (Mio.) | 1.412 | 1.413 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Renminbi Yuan (RMB)) | 6,894 | 6,735 | - |
Die Folgen der Lockdowns sind in nahezu allen Landesteilen zu spüren. Die Lieferketten funktionieren nicht mehr zuverlässig. Fabriken warten auf Vorprodukte oder bekommen ihre Fertigwaren nicht aus der Fabrik. Die verschiedenen Einkaufsmanagerindizes sind im April 2022 dramatisch eingebrochen. Laut einer Blitzumfrage der Europäischen Handelskammer in China vom Mai 2022 erwarten 58 Prozent der Mitgliedsunternehmen infolge der Covid-Beschränkungen Umsatzrückgänge. Ein Drittel rechnet sogar mit einem zweistelligen Minus.
Nahezu alle Finanzinstitute haben daher ihre Wachstumserwartungen für China nach unten korrigiert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht in seiner Frühjahrsprognose für 2022 nur noch von einem Plus des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von real 4,4 Prozent aus. Die Bank of America, Barclays und die UBS erwarten eine Zunahme von 4,2 Prozent. Nomura kommt sogar nur auf 3,9 Prozent. Weitere Anpassungen nach unten dürften folgen. Erste chinesische Ökonomen warnen, dass es sogar schwierig werde, die BIP-Wachstumsrate von 2020 von 2,3 Prozent zu erreichen.
Auch langfristig wirken sich mehrere Faktoren negativ auf die Wachstumsdynamik aus: Dazu gehören vor allem die Verschuldungsproblematik und die rasche Alterung der Gesellschaft. Das Reich der Mitte hat den Wettlauf bereits verloren, schneller reich als alt zu werden.
Beijing setzt, wie eigentlich bei jeder Krise, auf eine Ausweitung der Investitionen in die Infrastruktur. Letztendlich dürften aber die entsprechenden Kapitalaufwendungen, die bereits 2020 und 2021 kaum noch gestiegen waren, 2022 sogar zurückgehen. Viele Projekte können nicht starten, wenn Bauarbeiter, Maschinen und Baustoffe irgendwo festsitzen. Zudem leiden die lokalen Regierungen, die für die Umsetzung der Vorhaben verantwortlich sind, infolge der Lockdowns unter erheblichen Steuerausfällen. Zugleich sind viele bereits hoch verschuldet.
Internationale Unternehmen beschreiben die derzeitige Situation in China mit "null Planbarkeit, das Vertrauen ist weg".
Bereits 2021 waren internationale Unternehmen vorsichtiger geworden. Consultants berichteten, dass Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen nicht mehr wie früher automatisch genehmigt werden. Der Lockdown in Shanghai dürfte die Verunsicherung noch deutlich verstärkt haben. Viele der in China lebenden Expatriates haben das Land verlassen und/oder das Vertrauen in dessen wirtschaftliche Zukunft verloren. Die Firmen wollen ihr Länderrisiko verringern und sehen sich nach alternativen Beschaffungsquellen und Absatzmärkten um. Risikomanagement gewinnt an Bedeutung. Laut der EU-Kammer-Umfrage wollen fast ein Viertel der befragten Unternehmen ihre ursprünglich in China geplanten Investitionen in anderen Ländern tätigen.
Bezeichnung | Summe | Projektstand | Projektträger/Auftragnehmer |
---|---|---|---|
Hochgeschwindigkeitsstrecke Shenyang - Changbai Shan | 11,2 | Baubeginn im Juli 2021; geplante Bauzeit 4,5 Jahre | Projektträger: China Railway, Provinzregierungen Liaoning und Jilin; Auftragnehmer: Tochtergesellschaften von China Railway Construction, China Railway Group, China State Construction |
Hochgeschwindigkeitsstrecke Xi'an - Yan'an | 8,2 | Baubeginn im Mai 2021; Ende 2025 Fertigstellung | Projektträger: China Railway, Provinzregierung Shanxi; Auftragnehmer: China Railway Construction, China Railway Group |
Gewerbepark Jinhua Central Innovation Area Süd (Provinz Zhejiang) | 3,2 | Ein Konsortium gewann im Frühjahr 2021 die Ausschreibung; Entwicklungsperiode 10 Jahre | Projektträger: Jinhua Economic and Technological Development Zone; Auftragnehmer: Tochtergesellschaften von China Communication Construction |
Gewerbepark Jinhua Central Innovation Area Nord (Provinz Zhejiang) | k.A. | 2021 in der Phase der Ausschreibung | Projektträger: Jinhua Economic Technological Development Zone |
2,9 | Erkundung und Design im März 2022; Baubeginn Mitte 2022; Bauzeit 4 Jahre | Projektträger: China Railway, Provinz Zhejiang; Auftragnehmer: China Railway Construction | |
Logistikpark Xuzhou Bauabschnitt I, II sowie III, IV (Provinz Jiangsu) | 2,1 | Projektvergabe Abschnitt I, IV erfolgt; Baubeginn Ende 2021/Anfang 2022 | Projektträger: Xuzhou Huaihai International Land Port Holding Investment Development Group; Auftragnehmer: Tochtergesellschaften PowerChina |
Ausstellungs- und Konferenzzentrum Xiamen New Exhibition Center (Provinz Fujian) | 1,6 | Baubeginn für 1. Phase im Februar 2021; Inbetriebnahme 2023 | Projektträger: Xiamen ITG MICE Group; Auftragnehmer: China State Construction 4th Bureau |
Power China Westchina Headquarters in Chengdu (Provinz Sichuan) | 1,6 | Baubeginn 1. Phase (FuE-Zentrum) im Juni 2021; geplante Fertigstellung 2023 | Projektträger: PowerChina; Auftragnehmer: 3 Tochtergesellschaften von PowerChina |
1,2 | Baubeginn im Mai 2021; Fertigstellung Ende 2022 | Projektträger: PipeChina | |
LNG-Terminal Huizhou (Provinz Guangdong) | 1,0 | Baubeginn im Juli 2021; Inbetriebnahme Ende 2023 | Projektträger: Guangdong Energy Group, ExxonMobil Investment China, Pearl River Investment |
Lockdowns sind Gift für die Konsumkonjunktur. Der E-Commerce kann zwar für einen gewissen Ausgleich sorgen, jedoch zeigte die Erfahrung in Shanghai, dass der Onlinehandel die Bevölkerung im Zweifel nicht einmal mit den notwendigen Lebensmitteln versorgen kann. Seit März 2022 gehen die Einzelhandelsumsätze laut den offiziellen Zahlen dramatisch zurück. Im April sind sie um 11 Prozent zum Vorjahr zurückgegangen. Die Kfz-Verkäufe haben sich sogar nahezu halbiert. Auch können die meisten Menschen nicht mehr inner- oder außerhalb des Landes verreisen. Der Tourismussektor liegt am Boden.
Dadurch wird auch die offizielle Dual-Circulation-Strategie in Teilen konterkariert. Ihr zufolge soll sich die Wirtschaft stärker auf den einheimischen Markt und den Inlandskonsum konzentrieren. Doch auch nach der Überwindung der Pandemie dürfte diese Rechnung nicht aufgehen. Die Krise am Immobiliensektor hat viele ärmer gemacht, was auf die Konsumlaune drückt. Die rasche Alterung der Gesellschaft wird zudem die Konsumquote nach unten drücken, da die Einwohner stärker für ihren Ruhestand vorsorgen müssen.
Im 1. Quartal 2022 ist der Außenhandel Chinas noch um satte 13 Prozent gewachsen. Doch im April legten die Warenausfuhren nur noch um knapp 4 Prozent zu, während die Einfuhren (wie bereits im März) stagnierten. Aus Erfahrung führt ein Abschwung bei den Importen mit Verzögerung zu einer gleichgerichteten Entwicklung bei den Exporten.
Das sich abkühlende Geschäft spürt man bereits bei den Transportpreisen. So gaben die Seefrachtraten zwischen China und Europa seit März 2022 gegenüber den Höchstständen vom Herbst 2021 deutlich nach. Für die internationalen Einkaufsbüros sind das allerdings auch gute Nachrichten. Trotz aller Verlagerungstendenzen wird die Volksrepublik nämlich auf absehbare Sicht der mit Abstand wichtigste Beschaffungsmarkt bleiben.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/20 | |
---|---|---|---|
Importe | 2.056 | 2.688 | 30,1 |
Exporte | 2.591 | 3.364 | 29,9 |