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Wirtschaftsausblick | China
Null-Covid-Politik, Immobilienkrise, Alterung der Gesellschaft und hohe Verschuldung lasten auf der Wirtschaft. Indien und Südostasien lösen China als Wachstumslokomotive ab.
25.11.2022
Von Roland Rohde | Bonn
Während der Rest der Welt in Sachen Corona weitgehend zur Normalität übergegangen ist, herrscht in China immer noch Ausnahmezustand. Die Regierung verfolgt eine Null-Covid-Politik und setzt selbst bei relativ kleinen Ausbrüchen auf umfangreiche Einschränkungen. Die innerchinesischen Lieferketten funktionieren nicht mehr richtig. Im Spätherbst 2022 hat sich die Infektionslage zudem nochmals deutlich verschärft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in Folge in den ersten drei Quartalen 2022 laut nationalen Statistikamtes um lediglich 3 Prozent gestiegen. Dabei handelt es sich um den zweitniedrigsten Wert der vergangenen vier Jahrzehnte, der zudem durch umfangreiche Pandemiebekämpfungsmaßnahmen künstlich aufgebläht ist.
Indikator | 2020 | 2021 | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 14.737 | 16.981 | 4.224 |
BIP pro Kopf (US$) | 10.437 | 12.018 | 50.771 |
Bevölkerung (Mio.) | 1.412 | 1.413 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = Renminbi Yuan (RMB)) | 6,894 | 6,735 | - |
Zwar hält Beijing weiter an der Null-Covid-Politik fest. Doch im November 2022 kündigte man erste kleine Lockerungsmaßnahmen an. Sie sind nicht als großer Befreiungsschlag zu verstehen. Dennoch signalisieren sie ein Umdenken. Die Regierung wird voraussichtlich auf ein zögerliches Zurückfahren der Eindämmungsmaßnahmen und eine sehr langsame Öffnung der Grenzen setzen. Die Provinz- und Lokalregierungen werden dabei wohl nicht im vollen Maße mitziehen. Zu schwammig sind die Vorgaben und zu groß ist die Angst der Kader, im Falle eines größeren Ausbruchs bestraft zu werden.
Die meisten Finanz- und Forschungsinstitute rechnen mit einer leichten Belebung der Konjunktur. Sie erwarten für 2023 und 2024 eine BIP-Zunahme von jeweils 4,0 bis 4,5 Prozent. Damit werden sowohl Indien als auch Südostasien zwischen 2022 und 2024 - erstmals seit vier Jahrzehnten - schneller als das Reich der Mitte wachsen. Die fetten Jahren sind damit definitiv vorbei. Bei ehrlicher Rechnung - ohne Coronatest-Sonderkonjunktur und geschönter Berechnung - dürfte die Wirtschaft der Volksrepublik künftig nur noch um 2 bis 3 Prozent wachsen.
Bei ehrlicher Rechnung wächst Chinas Wirtschaft künftig nur noch um 2 bis 3 Prozent.
Zahlreiche Faktoren drücken auf das Wachstum: Die Unternehmensverschuldung war bereits vor Covid die höchste aller asiatischen Flächenstaaten. Alleine die chinesische Staatsbahn sitzt auf Verbindlichkeiten von nahezu 1 Billion US-Dollar (US$). Der teils zahlungsunfähige Konzern Evergrande kam "nur" auf 300 Milliarden US$ Schulden, ließ dafür aber eine über Jahrzehnte entstandene Immobilienblase platzen. Dies passiert zu einer Zeit, in der Chinas Gesellschaft rasant altert. Das Land hat das Rennen, schneller reich als alt zu werden, verloren.
Beijing hat zur Überwindung der Krise die Finanzierungsmöglichkeiten verbessert. Banken wurden angewiesen, mehr Kredite zu vergeben. Davon profitieren allerdings vor allem große und staatliche Konzerne. Da weltweit aber die Zinsen kräftig steigen, wird Beijing wohl oder übel nachziehen müssen, wenn ein Währungsverfall, Kapitalflucht und eine zu hohe Inflation verhindert werden sollen. Das wiederum wird die Investitionsfähigkeit und -willigkeit der Unternehmen schwächen und den Immobiliensektor weiter auf Talfahrt schicken.
Projektbezeichnung | Summe *) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Ultrahochspannungsleitung Hami (Provinz Xinjiang) bis Chongqing | 14,1 | Baubeginn Ende 2022; Fertigstellung Ende 2024 | Gesamtlänge: 2.283 km (+/- 800 KV Gleichstrom); Ansprechpartner: State Grid Corporation of China |
Hochgeschwindigkeitsbahn von Xiong’an (Provinz Hebei) nach Shangqiu (Provinz Henan) | 11,7 | Baubeginn Ende 2022; Inbetriebnahme Ende 2026 | Gesamtlänge 552,5 km; Fahrgeschwindigkeit bis 350 km/h; Ansprechpartner: Hebei Construction & Investment Group Co., Ltd. |
S-Bahn-Netz zur Verbindung von Shantou, Chaozhou und Jieyang sowie Flughafen Chaoshan (Provinz Guangdong) | 7,2 | Baubeginn Mitte 2022; geplante Fertigstellung Ende 2026 | Gesamtlänge 142 km, darunter Hochbahnstrecken 96,3 km, unterirdische Strecken 37,9 km; Ansprechpartner: China State Railway Group Co., Ltd. |
S-Bahn-Strecke Foshan West bis Guangzhou Nord (Teil des S-Bahn-Rings um die Metropole Guangzhou) | 3,5 | Geplante Gesamtlänge 47 km mit insgesamt 7 Stationen; Fahrgeschwindigkeit 160 bis 200 km/h; Ansprechpartner: Guangdong Provincial Railway Construction Investment Group Co., Ltd. | |
Zero-Emission-Industriepark in Xiangyang (Provinz Hubei) | 1,5 | Baubeginn Ende 2022; Fertigstellung Ende 2023/ Anfang 2024 | Ansiedelung von 200 Onshore-Windturbinen mit 3 GWh; Ansprechpartner: Stadtregierung Xiangyang, Provinz Hubei |
Bau eines Big-Data-Application-Center zur Anwendung von Wasserstofftechnologie im Bezirk Fangshan (Beijing) | 1,4 | Baubeginn 1. Halbjahr 2023 | Rechenzentrum einschließlich Wasserstoffkraftwerk mit 150 MW Leistung und Innovationszentrum zum Testen von grünen Wasserstoff-Ausrüstungen; Ansprechpartner: Beijing VNET Broadband Data Center Co., Ltd. |
Industrieprojekt zur Herstellung von superdünnem Kupferblatt zum Einsatz für Lithiumbatterien in Nanchang (Provinz Jiangxi) | 1,4 | Baubeginn Ende 2022; komplette Fertigstellung Mitte/Ende 2024 | Produktionskapazität 100.000 t p.a.; Ansprechpartner: MCC Real Estate Group Co., Ltd., Nanchang Economic and Technological Development Zone |
Pumpspeicherkraftwerk im Kreis Fangxian (Provinz Hubei) | 1,1 | Baubeginn 1. Halbjahr 2023 | Kapazität: 1.200 MW; Ansprechpartner: China Yangtze Power Co., Ltd. |
Für ausländische Unternehmen ist das Engagement in China schwieriger und risikoreicher geworden. Durch die Unterstützung Russlands im Ukrainekrieg und die militärische Bedrohung Taiwans hat sich das Land ein gutes Stück weiter von der westlichen Wertegemeinschaft entfernt. Internationale Firmen werden sich zunehmend für ihre Chinageschäfte rechtfertigen müssen. Zudem kann der Markt bei einer Eskalation des Taiwan-Konfliktes über Nacht wegbrechen. Die Suche nach alternative Absatz- und Beschaffungsquellen nimmt an Fahrt auf.
In China befinden sich immer einige Dutzend Metropole (in wechselnder Folge) in einem Teil-Lockdown. Der Inlandstourismus liegt am Boden. Der Einzelhandelsumsatz ist in den ersten zehn Monaten laut nationalem Statistikamt nur um ein halbes Prozent gestiegen. Vor der Pandemie waren 8 Prozent die Norm. Den Menschen sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche. Nicht wenige haben ihren Job oder ihr Geschäft verloren. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Wanderarbeitern (16 bis 24 Jahre) lag im 3. Quartal 2022 bei 18 Prozent.
Hinzu kommen die Folgen der Immobilienkrise. Das Neubaugeschäft und die Verkäufe sind dramatisch eingebrochen. Praktisch alle Hausbesitzer sind auf dem Papier ärmer geworden. Dieser negative Vermögenseffekt drückt zusammen mit der raschen Alterung der Gesellschaft dauerhaft auf die Konsumlaune. Dadurch wird auch die offizielle Dual-Circulation-Strategie konterkariert. Ihr zufolge soll sich die Wirtschaft stärker auf den einheimischen Markt und den Inlandskonsum konzentrieren.
Chinas Außenhandel hatte 2021 noch ein Rekordergebnis eingefahren. Doch nach dem chinesischen Neujahr im Januar/Februar 2022 trübte sich die Lage stetig ein. Zunächst begannen ab März die Einfuhren zu schwächeln. Sie sind in der Regel ein vorauseilender Indikator für die Entwicklungen der Exporte in den folgenden drei bis vier Monaten. Tatsächlich legten die Warenausfuhren bis in den Juli hinein noch kräftig zu, um sich danach rasch abzuschwächen. Im Oktober registrierte das Statistikamt sogar ein leichtes Minus von 0,3 Prozent.
2020 | 2021 | 2022 *) | Veränderung 2022/21 *) | |
---|---|---|---|---|
Importe | 2.056 | 2.688 | 2.750 | 2,5 |
Exporte | 2.591 | 3.364 | 3.600 | 7,0 |
Die Ursachen liegen einerseits in der nachlassenden globalen Konsumgüternachfrage. Jedoch könnten die Statistiken bereits erste Diversifizierungsbemühungen widerspiegeln. Auf absehbare Sicht wird die Volksrepublik allerdings der mit Abstand wichtigste Beschaffungsmarkt der Welt bleiben. Die dortigen Fertigungskapazitäten wurden über drei bis vier Jahrzehnte aufgebaut. Eine Verlagerung wird sich nicht viel schneller bewerkstelligen lassen.