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CETA im Praxistest: Vom Zollvorteil zur Marktstrategie
Mehr als Zölle: Das CETA-Abkommen schafft Chancen bei Rohstoffen, IT und Pharma. Warum viele Mittelständler diese Vorteile bislang nicht nutzen – und was daher zu tun bleibt.
03.12.2025
Von Heiko Steinacher | Toronto
Seit dem vorläufigen Inkrafttreten des Freihandelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada im Jahr 2017 sind nahezu alle Zölle gefallen. Für deutsche Unternehmen bedeutet das: Maschinen, Fahrzeuge und Chemieprodukte gelangen ohne Abgaben über den Atlantik. Die durchschnittlichen Zollsätze sanken von 4 bis 5 Prozent auf nahezu null – ein klarer Kostenvorteil. Doch CETA bietet mehr als Zollfreiheit: Es öffnet Märkte und vereinfacht Verfahren.
Handel wächst – aber Dynamik lässt nach
Zwischen 2016 und 2023 wuchs der EU-Kanada-Handel um rund 71 Prozent – die Warenexporte um 64 Prozent, Dienstleistungen sogar um 81 Prozent. Damit hat CETA den Austausch nachhaltig vertieft. Doch zuletzt ließ die Dynamik nach: Im 1. Halbjahr 2025 sanken die deutschen Exporte um 6 Prozent.
Hauptgründe sind kurzfristige Effekte der US-Zollpolitik und Lieferkettenverlagerungen. Setzen sich Handelsstreit und Steuerdebatten zwischen Kanada und den USA fort, könnten europäische Anbieter ihre Position im Land stärken – nicht zuletzt dank CETA .
CETA wirkt – aber nicht überall gleich stark
Wie groß ist der Anteil von CETA am Handelswachstum? Modellrechnungen der EU-Kommission für 2016 bis 2023 isolieren den Effekt des Abkommens – unabhängig von globalen Krisen oder Konjunkturschwankungen.
Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Branchen: Fahrzeuge profitierten besonders – mit einem CETA-Effekt von rund +24 Prozent. Bremsend wirken jedoch Kanadas Luxussteuer für Autos über 100.000 kanadische Dollar sowie komplexe Ursprungsregeln, vor allem bei Elektrofahrzeugen.
Bei Maschinen lag der Effekt dagegen nur bei +1,3 Prozent. Der Grund: Die Ausgangsbasis war hoch, und viele Maschinen waren bereits vor CETA zollfrei, sodass zusätzliche Zuwächse begrenzt blieben.
Chemische Erzeugnisse verzeichneten einen CETA-Effekt von +9 Prozent. Pharma blieb nahezu konstant (+0 Prozent), obwohl einzelne Produkte wie Impfstoffe stark zulegten. Hier wirken regulatorische Unterschiede und komplexe Zulassungsverfahren als Bremse.
Mehr als Zölle – Wo CETA neue Chancen eröffnet
Für KMU eröffnen sich Chancen vor allem in drei Bereichen:
- Industriegüter und Automatisierung: Kanadas Investitionen in Batteriefabriken und Rohstoffprojekte schaffen Nachfrage nach deutscher Technik.
- Dienstleistungen und IT: Das Abkommen öffnet den kanadischen Beschaffungsmarkt – von Smart-City-Projekten bis Energieinfrastruktur.
- Pharma und Chemie: Die gegenseitige Anerkennung von Produktionsstandards nach den Regeln der "Guten Herstellungspraxis" (GMP – Good Manufacturing Practice) im Rahmen eines Abkommens über gegenseitige Anerkennung (MRA – Mutual Recognition Agreement) erleichtert den Export und reduziert regulatorische Hürden.
Die großen Sprünge durch Zollerleichterungen sind vorbei. Doch CETA hat weit mehr bewirkt: Das Abkommen enthält ein Kapitel zu nachhaltiger Entwicklung und erleichtert regulatorische Kooperation. Darauf aufbauend haben die EU und Kanada 2021 eine strategische Partnerschaft zu kritischen Rohstoffen geschlossen, um Versorgungssicherheit für Batterien, Wasserstoff und Hightech zu gewährleisten. CETA schafft dafür den Rahmen: Es garantiert Marktzugang, Investitionsschutz und transparente Verfahren, die für Rohstoffprojekte entscheidend sind.
Neue Chancen im Beschaffungsmarkt
Parallel dazu wächst die EU-Präsenz bei öffentlichen Ausschreibungen in Kanada – laut EU-Kommission 2024 um 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Denn CETA öffnet den Beschaffungsmarkt für europäische Anbieter – ein Bereich, der für deutsche Unternehmen bislang schwer zugänglich war.
Kommunale Infrastrukturprojekte, Energieversorgung oder IT-Dienstleistungen: Hier können sich deutsche Firmen seit 2024 deutlich einfacher beteiligen, tun das bisher aber in der Praxis erst sehr begrenzt. Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind mit den Regeln nicht vertraut oder schrecken vor dem administrativen Aufwand zurück.
Weiteres Wachstum unter CETA setzt voraus, nicht tarifäre Hemmnisse abzubauen und digitale Prozesse konsequent umzusetzen. Dazu gehört die Nutzung moderner Zollverfahren wie des kanadischen CARM-Systems für elektronische Ursprungsnachweise und beschleunigte Freigaben sowie die Anpassung an aktuelle E-Commerce-Standards, die im Abkommen bislang nur begrenzt berücksichtigt sind.
Mehr Mittelständler exportieren nach Kanada...
Zwischen 2016 und 2023 stieg die Zahl der KMU aus der EU, die nach Kanada exportieren, um rund 20 Prozent. Bei größeren Unternehmen lag das Plus bei 14 Prozent. Dennoch schöpfen viele Firmen die Vorteile nicht aus: Die Präferenznutzungsrate deutscher Exporte – also der Anteil, bei dem die Zollvorteile tatsächlich genutzt werden – lag 2023 bei nur gut 50 Prozent.
… doch Hürden bremsen den Erfolg
Gründe sind fehlendes Know-how, komplexe Ursprungsregeln und -nachweise und Unsicherheit bei der Produktklassifizierung. Hinzu kommen nichttarifäre Hemmnisse wie unterschiedliche Kennzeichnungsvorschriften, SPS-Maßnahmen (Sanitary and Phytosanitary Measures) für Lebensmittelsicherheit, GMP-Anforderungen (Gute Herstellungspraxis) oder technische Standards.
Auch digitale Defizite spielen eine Rolle: So gilt das E-Commerce-Kapitel von CETA als überholt. Die verpflichtende Einführung des kanadischen CARM-Systems für elektronische Zollabwicklung im Frühjahr 2024 führte von Mai bis ins Frühjahr 2025 zu Übergangsproblemen, insbesondere bei der Hinterlegung finanzieller Sicherheiten.
CETA hat den Marktzugang deutscher Unternehmen in Kanada spürbar erleichtert – mit Zollfreiheit, digitalen Verfahren und neuen Chancen bei öffentlichen Ausschreibungen. Dennoch bleibt die Nutzung im Mittelstand hinter den Möglichkeiten zurück: Weniger als die Hälfte der KMU wendet die Präferenzregeln an. Wer die Vorteile kennt und nutzt, kann sich in Kanada langfristig positionieren – gerade in Zeiten geopolitischer Unsicherheiten und Lieferkettenverlagerungen.
Hürden für KMU – Was bremst das Wachstum?
- Logistik & Zollformalitäten: zwar keine Zölle, aber Dokumentationspflichten und Ursprungsnachweise belasten KMU.
- Nicht tarifäre Handelshemmnisse: Unterschiede bei technischen Standards, Kennzeichnungsvorschriften, Sicherheitsvorschriften und Zulassungen (zum Beispiel Pharma, Automotive) verursachen Zusatzkosten; zwar erleichtern gegenseitige Anerkennungsabkommen (MRA) den Zugang, doch die Verfahren sind oft langwierig.
- Sprachgesetze (Québec), föderale Unterschiede (zum Beispiel Dienstleistungsanerkennung: trotz CETA bleibt die Umsetzung in einigen Provinzen langsam).
- Regulatorische Divergenzen: Provinzregeln für Wein und Spirituosen, SPS-Maßnahmen für Lebensmittel, fehlende Harmonisierung bei Chemikalien
- Administrative Komplexität: Viele Unternehmen – vor allem KMU – nutzen die Zollpräferenzen nicht vollständig; 2023 lag die Präferenznutzungsrate (PUR = Anteil der Exporte, bei denen die Zollvorteile tatsächlich genutzt werden) deutscher Exporte bei nur 51 Prozent, was zu erheblichen entgangenen Zolleinsparungen führte.
- Digitale Defizite: Das E-Commerce-Kapitel von CETA ist veraltet, was die Nutzung digitaler Handelskanäle erschwert.