
Special | Brasilien | Produktionsstandorte
Brasiliens grüne Reindustrialisierung als Chance für Investoren
Als Vorreiter bei grüner Energie und Weltspitze in der Agrar- und Forstwirtschaft gewinnt Brasilien global an Bedeutung. Für eine Reindustrialisierung sprechen noch mehr Argumente.
25.06.2025
Von Gloria Rose | São Paulo
Brasiliens Industrie ist breit aufgestellt. Sie bedient jedoch hauptsächlich den großen Inlandsmarkt und ist kaum in globale Wertschöpfungsketten integriert. Nach Jahrzehnten der schleichenden Deindustrialisierung durchlief der verarbeitende Sektor in der Rezession der Jahre 2014 bis 2017 und der sich anschließenden Coronakrise eine intensive Umstrukturierung. Einige Hersteller gerieten in Zahlungsschwierigkeiten, andere Unternehmen steigerten ihren Anteil am großen Inlandsmarkt beziehungsweise nutzten die Abwertung der brasilianischen Währung, um den Export auszubauen.
Deutsche Industrieunternehmen, darunter viele KMU, sind seit langer Zeit in Brasilien vertreten und zählen zu den wichtigsten Produzenten. Eines davon ist WIKA aus Klingenberg am Main. Der weltweit führende Hersteller in der Druck- und Temperaturmesstechnik gründete bereits 1981 eine eigene Produktionsniederlassung in Brasilien.
Die Geschäfte der Tochter WIKA Brasil laufen gut. Von 2020 bis 2024 verdoppelte sich der Umsatz. Zurzeit errichtet das Unternehmen eine neue Produktionsstätte in Boituva im Bundesstaat São Paulo, die Anfang 2026 den Betrieb aufnehmen wird. Von hier aus soll der gesamte lateinamerikanische Markt bedient werden. Als der mit Abstand größte Markt in der Region biete Brasilien einen guten Zugang zum Mercosur und weitere strategische Standortvorteile, bekräftigt der Lateinamerikachef Ricardo Salgado Moura im Gespräch mit GTAI.
Dieser Beitrag ist Teil einer umfassenden Analyse zu neuen Produktionsstandorten. Sie zeigt anhand verschiedener Länderkategorien, warum und wohin sich Fertigungskapazitäten verschieben.
Investitionstrends: Gestärkt aus der Krise
Nun bieten sich neue Chancen. Die Energiewende und der Trend zur Dekarbonisierung spielen Brasilien in die Hände. Das Land verfügt über hervorragende Bedingungen für erneuerbare Energien, allen voran aus Wind, Sonne und Biomasse. Brasilien möchte diese Wettbewerbsvorteile nutzen, um Investitionen der energieintensiven Industrie und anderer Wirtschaftsbereiche anzuziehen. Das Stichwort lautet Powershoring. Dafür legte die Regierung Anfang 2024 eine neue Industriepolitik und spezifische Förderprogramme auf.
Laut den Zahlen der OECD verzeichneten nur die USA und Kanada 2024 höhere Zuströme ausländischer Direktinvestitionen als Brasilien. Dem lateinamerikanischen Land flossen demzufolge 59,2 Milliarden US-Dollar (US$) zu.
Fokusbranchen: Brasilien punktet bei grüner Produktion
Besonders wachstumsstark sind das Agrobusiness und die Nahrungsmittelindustrie, aber auch Bergbau, Kfz-Industrie, Bauwirtschaft, Gesundheitswirtschaft, Verteidigungsindustrie, die Zellstoffindustrie und natürlich Unternehmen der erneuerbaren Energien.
Bei erneuerbaren Energien liegt Brasilien weit vorne. Die Regenerativen stehen für knapp die Hälfte des Endenergieverbrauchs und 90 Prozent der Stromversorgung. Die dank dem starken Agrarsektor hohe Verfügbarkeit von Biomasse eröffnet Chancen für die emissionsarme Chemieindustrie. Mehr als die Hälfte der Zucker-Ethanol-Produktion konzentriert sich auf den Industriebundesstaat São Paulo. Außerdem verfügt Brasilien über bedeutende Vorkommen kritischer Rohstoffe.
Bei hochwertigen Biokraftstoffen wie SAF (Sustainable Aviation Fuels) sowie bei grünem Dünger ziehen die Investitionen bereits an. Einzelne Branchen treiben die Dekarbonisierung voran und vermarkten ihre Produkte dementsprechend, beispielsweise die Hersteller von Keramikfliesen und Glas. In diesem Umfeld schreiten erste Wasserstoffprojekte voran. In Zukunft könnte Brasilien direkt reduzierte Eisen in Form von Briketts (Hot Briquetted Iron - HBI) an Stelle von Eisenerz exportieren und so den CO2-Fußabdruck der globalen Stahlindustrie reduzieren.
Treiber und Risiken: Ressourcen locken, aber Schwächen bleiben
Als wichtiger Player der globalen Nahrungsmittel-, Energie- und Rohstoffversorgung ist Brasilien ein stabiler Partner, der von den Verschiebungen globaler Handelsströme profitieren kann. So bezieht China Agrarprodukte zunehmend aus Brasilien, statt aus den USA. Um langfristig eine Schlüsselrolle in globalen Lieferketten einzunehmen, muss das Land die Infrastruktur ausbauen, Nachhaltigkeit glaubwürdig nachweisen und geopolitisch neutral bleiben. Durch das Freihandelsabkommen zwischen EU und Mercosur würde Brasilien seine Position als verlässlicher Partner stärken.
Auch wenn unter US-Präsident Donald Trump Dekarbonisierung in den USA nicht mehr politisch gefördert wird, prägen Nachhaltigkeitskriterien nach wie vor die Investitionen multinationaler Industriekonzerne. Das gleiche gilt für die Betreiber von Rechenzentren, die den Ausbau in Brasilien vorantreiben. Damit verschafft sich das lateinamerikanische Land neue Vorteile. Denn die Nutzung künstlicher Intelligenz bedarf immer mehr Rechenleistung und somit auch Strom.
Freihandelsabkommen für ein Aufleben erfolgreicher Wirtschaftsbeziehungen
Brasilien und Deutschland sind schon heute wichtige Partner. Es besteht Hoffnung, dass der Handelsteil des Abkommens vorgezogen und noch 2025 durch das Europäische Parlament mit einfacher Mehrheit und den EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit angenommen wird. Dadurch ergeben sich neue Impulse für EU-Unternehmen in Brasilien. Die Öffnung des brasilianischen Marktes verlor unter der aktuellen Regierung an Fahrt. Außerdem erobern immer mehr chinesische Anbieter den brasilianischen Markt und erhöhen den Konkurrenzdruck.
Für die deutsche Industrie ist Brasilien traditionell ein wichtiger Produktionsstandort. Deutsche Konzerne wie Bayer, BASF, Volkswagen, Bosch, Siemens und auch viele mittelständische Unternehmen sind seit vielen Jahrzehnten stark vertreten und äußerst anerkannt. Durch den guten Ruf gelingt es deutschen Firmen besonders gut, fähige Fachkräfte zu finden, zu entwickeln und zu halten. Außerdem können sich deutsche Unternehmen mit eigener Tochter vor Ort als verlässliche und erfahrene Partner anbieten.
Noch einige Hausaufgaben zu machen
Brasilien verbessert das Geschäftsumfeld für die Industrie und den Export durch die 2026 startende Steuerreform, neue Förderprogramme und die Aktivierung von Freihandelszonen. In den vergangenen fünf Jahren hat das Land jedoch an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Es ist seit 2020 in den Effizienzkriterien und bei der Infrastruktur von Jahr zu Jahr zurückgefallen. Das besagt das Ranking der IMD Business School. Nur in der Kategorie Wirtschaftskraft legte Brasilen kontinuierlich zu und stieg vom 56. auf den 38. Platz auf.
Im Kearney Index für ausländische Direktinvestitionen, der das Vertrauen globaler CEOs in ein Land misst, fiel Brasilien 2024 um zwei Plätze auf den 21. Rang, überholte aber im Ranking der Schwellenländer Indien und stieg damit auf den 4. Rang auf. Nur in China, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Saudi-Arabien würden mehr Unternehmen bis 2027 eine Direktinvestition tätigen, ergab die Umfrage unter globalen Führungskräften. Als wichtigstes Motiv für Investitionen in Brasilien nannten die Befragten an erster Stelle die natürlichen Ressourcen gefolgt von der Wirtschaftsleistung, der Qualifikation verfügbarer Arbeitskräfte und dem Geschäftsumfeld.
Vorzüge und Chancen | Herausforderungen und Risiken | |
---|---|---|
Energie | Kostengünstig verfügbare erneuerbare Energie. Dekarbonisierung wird durch Politik und Wirtschaft vorangetrieben. | Der Markt für grüne Produkte folgt staatlichen Regulierungen. Diese werden zurzeit seitens USA und EU gelockert. |
Lieferketten | Wichtiger Rohstofflieferant (Agrarerzeugnisse, Bergbau und Öl&Gas). | Der Aufbau einer höheren Wertschöpfung vor Ort ist komplex, zeitaufwendig und je nach Branche sehr kapitalintensiv. |
Absatzmarkt | Großer und wachsender Binnenmarkt und Zugang zu Märkten der Region. | Die Märkte der lateinamerikanischen Länder sind wenig integriert. |
Logistik | Kurze und relativ gut abgesicherte Handelsroute nach Europa und in die USA. | Unzureichende Infrastruktur in Brasilien verursacht hohe Kosten. |
Außenhandelspolitik | Brasilien profitiert im multilateralen Handel von seiner Neutralität in internationalen Konflikten. | Größtenteils geschlossener Markt: Brasilien implementierte den höchsten Zolltarif der G20-Staaten und viele weitere Handelshemmnisse. |
Arbeitsmarkt | Qualifizierte Fachkräfte schätzen die Beschäftigung in deutschen Unternehmen. | Herausforderungen bei der Personalsuche nehmen zu. |
Währungsentwicklung | Abwertung der brasilianischen Währung vergünstigt brasilianische Güter in Auslandsmärkten und Projekte für ausländische Investoren. | Hohe Volatilität im Wechselkurs beeinträchtigt die Vorhersehbarkeit. |
Wirtschaftspolitik und Investitionsklima | Steuerreform, Förderprogramme und Freihandelszonen setzen Anreize für den Export von verarbeiteten Gütern. | Das neue Steuersystem wird etappenweise von 2026 bis 2033 eingerichtet. Auch der Bürokratieabbau erfolgt nur langsam. Wegen der fiskalpolitischen Lage bleiben die Kapitalkosten hoch. Das belastet die Investitionen. |
Institution | Anmerkung |
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AHK Brasilien | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen in São Paulo, Rio de Janeiro und Porto Alegre |
ApexBrasil | Brasilianische Agentur für Export- und Investitionsförderung |
Investitionsgarantien des Bundes | Instrument zur Absicherung von Auslandsinvestitionen |