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Inflation und sinkende Nachfrage bremsen Wachstum
In Südosteuropa dämpft eine hohe Inflation das Wachstum. Zudem flammen regionale Konflikte wieder auf. EU-Fördermittel eröffnen den Ländern jedoch gute Perspektiven.
09.02.2023
Von Viktor Ebel
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Bonn
Die Coronapandemie und Russlands Angriff auf die Ukraine veranlassen viele Unternehmen, ihre Lieferketten zu überdenken. Südosteuropa ist auf einem guten Weg, sich als alternativer Produktionsstandort zu etablieren. Im Jahr 2022 wuchs die Region überdurchschnittlich stark. Jedoch dämpfen hohe Energiepreise und eine sinkende Nachfrage die positive Entwicklung im neuen Jahr.
EU unterstützt finanziell und hält Fenster gen Westen offen
Die Fördermittel sind eine wichtige Stütze für die Mitgliedsländer Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Zypern. Diese finanzieren damit vor allem Projekte in den Bereichen Infrastruktur und Energie. Anderen Ländern in der Region bietet die EU eine Zukunftsperspektive. Bosnien und Herzegowina und die Republik Moldau haben 2022 den Status als Beitrittskandidaten verliehen bekommen. Auch das Kosovo ist nachgezogen und hat den Beitritt beantragt. In Zeiten wiederaufflammender regionaler Konflikte sendet der Staatenverbund damit wichtige Signale.
Griechische Wirtschaft bleibt krisenresistent
Nach einem starken Jahr 2022 trüben sich die Aussichten für das Folgejahr etwas ein. Die Europäische Kommission schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2023 lediglich um 1 Prozent wachsen wird. Das Ende der Pandemie und eine starke Tourismussaison hatten Griechenland 2022 fast so viele Gäste wie im Rekordjahr 2019 beschert. Die Branchenumsätze des wichtigsten Wirtschaftszweigs stiegen auf über 18 Milliarden Euro.
Doch nun schlagen sich Energiekrise, Ukrainekrieg und die hohe Inflation auch auf das Urlaubsparadies nieder. Die Kauflaune flacht ab: Laut EU-Prognosen nimmt der private Konsum 2023 nur um 1 Prozent zu. Ein Lichtblick sind die Bruttoanlageinvestitionen, welche 2023 um real 6,3 Prozent steigen sollen. Unternehmen profitieren von EU-Fördermitteln in Milliardenhöhe. Im Fokus stehen Infrastruktur- und Energieprojekte. Für Deutschland als wichtigsten Handelspartner sind das gute Zeichen.
Rumänien wächst trotz hoher Inflation
Auch in den anderen EU-Ländern in Südosteuropa wächst das BIP 2023 langsamer als im Vorjahr. Im Jahr 2022 konnte Rumänien noch mit einem realen Wachstum von 4,7 Prozent überzeugen. Nun rechnet das Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche (wiiw) damit, dass sich die Wachstumsrate 2023 auf 2,4 halbieren wird. Die größten Risiken für das Wachstum liegen in der hohen Inflation sowie einer abflauenden Nachfrage aus dem Ausland.
Mitverantwortlich ist auch die abnehmende Binnennachfrage, die durch steigende Kreditkosten und sinkende Reallöhne begünstigt wird. Chancen bietet das Land dennoch, vor allem beim Ausbau der Energie- und Verkehrsinfrastruktur und als Nearshoring-Standort. Außerdem fließen erhebliche Mittel aus EU-Fördertöpfen nach Rumänien.
Hohe Energiepreise belasten Bulgarien weiterhin
In Bulgarien wirken sich die hohen Preise für Energie sowie eine abflauende Exportnachfrage negativ auf das Wachstum aus. Das wiiw erwartet, dass die Wirtschaft 2023 um 1,5 Prozent zunehmen wird. Während das Land eine Ausnahmeregelung vom EU-Ölembargo gegen Russland erwirkt hat und somit weiter russisches Öl beziehen kann, ist es beim Erdgas komplizierter. Hier konnte Bulgarien nur ein Drittel des jährlichen Bedarfs sicherstellen, der Rest muss monatlich besorgt werden. Die Preise für Energie werden so lange hoch bleiben, bis Sofia längerfristige Lieferverträge abgeschlossen hat.
Die anhaltende politische Krise im Land dämpft das Geschäftsklima zusätzlich. Das spiegelt sich auch in den Ausrüstungsinvestitionen wider, die 2022 ein Minus von real 8 Prozent verzeichnet haben. Im Jahr 2023 soll es laut EU-Kommission aber mit einem Plus von 5,5 Prozent wieder aufwärtsgehen. In diesem Jahr erwartet die Regierung auch eine erste milliardenschwere Auszahlung im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU.
Wirtschaftswachstum in der Türkei ist mit Risiken behaftet
Nach einer Halbierung des Wachstums im Jahr 2022 auf 5 Prozent deutet sich für 2023 eine weitere Abkühlung an: Das wiiw erwartet ein Plus von 3 Prozent. Noch profitiert das Land von den Nearshoring-Bestrebungen der europäischen Unternehmen und starken Exporten. Denn der schwache Wechselkurs macht die türkischen Produkte im Ausland billiger. Der drohende Konjunkturabschwung in den wichtigsten Abnehmerländern EU und USA birgt aber ein großes Risiko für die exportorientierte türkische Wirtschaft.
Selbiges gilt für die Niedrigzinspolitik, die mit hohen Finanz- und Wirtschaftsrisiken verbunden ist. Die Zinssenkungen haben dazu beigetragen, dass die Inflation im Jahresverlauf Werte von über 80 Prozent erreicht hat. Dadurch ist die reale Kaufkraft im Land gesunken. Zuletzt ist die Inflationsrate zwar zurückgegangen, sie dürfte aber weiter auf hohem zweistelligem Niveau bleiben. Die schwache Lira erschwert auch die Aufnahme und Rückzahlung ausländischer Kredite und Importe. Bereits angesiedelte ausländische Unternehmen planen durchaus neue Projekte. Neuansiedlungen sind unter den genannten Umständen aber kaum zu verzeichnen.
Wahlen in der Türkei im Mai 2023
Im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen dürften die Unsicherheiten zunehmen. Die Wahlen finden voraussichtlich am 14. Mai statt. |
Westbalkan bleibt auf Wachstumskurs
Die Wirtschaft auf dem Westbalkan bleibt auch im Jahr 2023 auf Wachstumskurs. Das BIP der sechs Länder wird real um 1,8 Prozent zulegen, so die Prognose des wiiw. Damit nimmt die Dynamik aus den Vorjahren zwar ab, aber es gelingt den Ländern, den globalen Krisen die Stirn zu bieten.
In Albanien und Montenegro setzt der aufblühende Tourismus nach der Coronakrise entscheidende Impulse. Serbien, Bosnien und Herzegowina und Nordmazedonien profitieren von soliden Direktinvestitionen aus dem Ausland und einer starken Inlandsnachfrage. Gleichzeitig leiden sie unter der abflauenden Konjunktur in der EU. Für ihr verarbeitendes Gewerbe ist die EU wichtigster Außenhandelspartner. Das verhindert dort ein stärkeres Wachstum. In Kosovo setzen die Rücküberweisungen der Diaspora nach wie vor wichtige Impulse.
Regionale Konflikte auf dem Westbalkan
Das Jahr 2022 stand auf dem Westbalkan im Zeichen wiederaufflammender Konflikte. Zwischen Serbien und dem Kosovo entbrannte ein Streit über Autokennzeichen, der erst durch Vermittlungsbemühungen der EU beigelegt werden konnte. Die Lage bleibt aber angespannt.
In Bosnien und Herzegowina stellte der Präsident der Entität Republika Srpska, Milorad Dodik, wiederholt den gemeinsamen Bundesstaat infrage und drohte mit Abspaltung. Außerdem sympathisiert er offen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem er Anfang Januar 2023 einen Orden verliehen hat. |
Deutsche Exporte nach Südosteuropa (in Millionen Euro)
Land | Januar bis November 2022 | Veränderung zur Vorjahresperiode in % |
---|
Albanien | 319 | 11,4 |
Bosnien und Herzegowina | 1.057 | 20,4 |
Bulgarien | 4.929 | 16,3 |
Griechenland* | 7.636 | 17,0 |
Kosovo | 284 | -6,9 |
Republik Moldau | 494 | 21,1 |
Montenegro | 118 | 16,0 |
Nordmazedonien | 1.205 | 5,7 |
Rumänien | 18.517 | 9,6 |
Serbien | 3.684 | 12,7 |
Türkei* | 24.354 | 24,7 |
Zypern* | 673 | 8,9 |
* Destatis 2023Quelle: Ostausschuss der deutschen Wirtschaft 2022