Recht kompakt | Kasachstan | Rechtsverfolgung
Kasachstan: Rechtsverfolgung
In Kasachstan können ausländische Gerichtsentscheidungen nicht vollstreckt werden. Es empfiehlt sich eine Vereinbarung einer vertraglichen Streitbeilegungsklausel.
20.09.2022
Von Yevgeniya Rozhyna, Dmitry Marenkov
Gerichtssystem
Das Gerichtssystem in Kasachstan hat einen dreistufigen Aufbau der allgemeinen Gerichtsbarkeit. Es umfasst folgende Gerichte:
- Bezirksgerichte;
- Regionale Gerichte und Gerichte von Almaty und Nur-Sultan;
- Oberster Gerichtshof.
Neben dieser Drei-Stufen-Struktur existieren noch spezialisierte überregionale Wirtschaftsgerichte, die für Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen beziehungsweise Einzelunternehmern zuständig sind.
Für das Verfahrensrecht in Zivil- und Wirtschaftssachen ist das Zivilprozessgesetzbuch ("Graždanskij prozessualnyi kodeks“; im Folgenden: ZPO) maßgeblich.
Abschnitt V (Kapitel 57, Kapitel 466 bis 504) der kasachischen ZPO ist den Verfahren mit Beteiligung ausländischer Parteien gewidmet. Artikel 466 ZPO normiert die internationale Zuständigkeit der kasachischen Gerichte. Artikel 467 ZPO zählt zur ausschließlichen Zuständigkeit kasachischer Zivilgerichte insbesondere folgende Angelegenheiten: Rechte an in Kasachstan befindlichem unbeweglichen Vermögen, Klagen gegen kasachische Beförderer aus internationalen Beförderungsverträgen. In diesen Fällen scheidet eine ansonsten auch nach Art. 468 der kasachischen ZPO zulässige schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung bei Streitigkeiten mit ausländischer Beteiligung aus.
Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist das Gesetz Nr. 261-VI "Über das Zwangsvollstreckungsverfahren und den Status der Gerichtsvollzieher" ("Ob ispolnitel'nom proizvodstve i statuse sudebnykh ispolniteley") maßgeblich. Das Gesetz führte erstmals das Institut der privaten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Entlastung der staatlichen Gerichtsvollzieher und der Erhöhung der Erfolgsquote bei der Zwangsvollstreckung ein.
Im Jahr 2018 hat das Gericht des Internationalen Finanzzentrums Nur-Sultan seine Arbeit aufgenommen. Es handelt sich um eine vom Gerichtssystem des Staates losgelöste mit englischen Richtern besetzte Einrichtung, die nach common law Grundsätzen Zivil- und Handelsstreitigkeiten entscheiden.
Anerkennung und Vollstreckung
Die Vollstreckung von kasachischen Gerichtsentscheidungen und Schiedssprüchen kann entweder freiwillig durch die Partei erfolgen oder im Wege der Zwangsvollstreckung. Für die Zwangsvollstreckung werden die Vollstreckungstitel durch ein Gericht als Urkunde ausgestellt. Vollstreckungstitel können durch ordentliche Gerichte, Urteile internationaler Handelsgerichte sowie internationale Schiedsgerichtssprüche erlassen werden. Der Antrag auf die Vollstreckung ist beim ordentlichen Gericht in Kasachstan einzureichen. Vollstreckt wird in der Regel am Wohnort des Schuldners.
Vertragliche Streitbeilegungsklauseln
Im deutsch-kasachischen Wirtschafts- und Rechtsverkehr findet keine gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Gerichtsentscheidungen statt. Es besteht kein entsprechendes bilaterales oder multilaterales Abkommen und auch die von § 328 Abs. 1 Nr. 5 der deutschen ZPO und Art. 501 der kasachischen ZPO zu diesem Zwecke vorausgesetzte Gegenseitigkeit ist nicht verbürgt: Mit der Folge, dass die Entscheidung deutscher Gerichte in Kasachstan nicht vollstreckt werden können.
Dies hat zur Folge, dass eine Gerichtsstandsklausel zu Gunsten deutscher Gerichte beziehungsweise die Prozessführung vor deutschen Gerichten nur dann sinnvoll ist, wenn der kasachische Vertragspartner Vermögen in Deutschland oder einem anderen Land hat, in dem die Vollstreckung eines deutschen Urteils möglich ist zum Beispiel im EU-Ausland. Andernfalls wäre die Vollstreckung selbst im Erfolgsfalle nicht gesichert.
Will man den Schwierigkeiten einer Prozessführung im Ausland entgehen, empfiehlt sich die Vereinbarung einer Schiedsklausel. Seit 1996 gehört Kasachstan nämlich dem New Yorker Übereinkommen vom 10. Juni 1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New York Convention, im Folgenden: NYÜ) an. Das NYÜ sichert rechtlich die Vollstreckbarkeit ausländischer Schiedssprüche in seinen 159 Vertragsstaaten. Die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruches kann nur aus Gründen des Art. V NYÜ versagt werden. Die Gründe werden auch in Art. 425-3 der kasachischen ZPO genannt.
Entscheidet man sich aus oben genannten Gründen für die Schiedsgerichtsbarkeit, erscheint es als ratsam, die Standardklausel einer der bekannten Schiedsinstitutionen wie des Schiedsgerichts der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) oder der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) oder eines weiteren internationalen Schiedsgerichtes zu vereinbaren. Als kasachische Schiedsinstitution ist der Kasachische Internationale Schiedsgerichtshof mit Sitz in Nur Sultan zu nennen. Mitte 2014 wurde bei der Nationalen Unternehmerkammer, die mit ihren Filialen das IHK-Netz in Kasachstan ersetzt hat, ein Schiedszentrum gegründet.
Schiedsgerichtsbarkeit
Am 20. April 2016 trat das neue Schiedsverfahrensgesetz in Kraft. Der Anwendungsbereich des neuen Gesetzes erstreckt sich sowohl auf nationale als auch internationale Schiedsverfahren. Das Gesetz legt unter anderem Anforderungen an die Schiedsvereinbarung, die Grundsätze des Schiedsverfahrens, die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen fest. Streitigkeiten, an denen Staatsunternehmen oder juristische Personen mit einer staatlichen Beteiligung von mindestens 50 Prozent als Parteien teilnehmen, können nur bei Vorliegen einer entsprechenden Genehmigung einer zuständigen Stelle Gegenstand eines Schiedsverfahrens sein.
Kasachstan gehört zu den Vertragsstaaten der Konvention zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten (Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States, ICSID-Konvention). Gemäß Art. 54 ICSID-Konvention besteht die Verpflichtung des Staates, einen gegen ihn nach den ICSID-Regeln ergangenen Schiedsspruch wie eine Entscheidung der staatlichen Gerichte des beklagten Staates - ohne Vorschaltung eines Exequaturverfahrens - zu vollstrecken.