Start-ups in Polen

Von Christopher Fuß | Warschau

Start-ups aus Polen freuen sich über neue Unterstützung. Im 2. Quartal 2024 investierten Wagniskapitalgeber mehr als doppelt so viel Geld in polnische Jungunternehmen wie noch im Vorjahreszeitraum. Laut Angaben des polnischen Entwicklungsfonds PFR (Polski Fundusz Rozwoju) pumpten Venture-Capital-Gesellschaften (VC) zwischen April und Juni 2024 rund 208 Millionen Euro in den Markt. Start-ups hoffen, dass damit eine Trendwende beginnt. Das 1. Quartal 2024 und das Gesamtjahr 2023 enttäuschten nämlich mit den niedrigsten Finanzierungsrunden seit Ausbruch der Coronapandemie. Ohne Finanzierung können auch die innovativsten Jungunternehmen nicht wachsen.

Das Start-up-Netzwerk StartupBlink stufte Polen angesichts der schwachen Zahlen in einer Studie von Anfang 2024 sogar herab. In der weltweiten Reihenfolge der attraktivsten Standorte für Jungunternehmer fiel das Land um einen Platz auf Position 34 - knapp hinter Tschechien.

Staatlicher Fonds kooperiert mit privaten Kapitalgebern

Dass sich die VC-Gesellschaften über Monate zurückhielten, lag aber nicht an fehlenden Ideen von Jungunternehmen. Marek Garniewski, Geschäftsführer des Wagniskapitalgebers Orlen VC verweist in der Tageszeitung Rzeczpospolita auf die weltweit schwächelnde Konjunktur und auf gestiegene Zinsen. Diese Bedingungen drücken auf die Investitionslaune. Speziell für Polen kommt noch ein Faktor hinzu: "Die meisten der auf dem polnischen Start-up-Markt durchgeführten Transaktionen wurden in der Vergangenheit durch öffentliche Mittel unterstützt", sagt Garniewski in der Rzeczpospolita.

Bei diesen öffentlichen Geldern handelt es sich zu einem guten Teil um EU-Fördergelder. Die Mittel waren wegen eines Rechtsstreites zwischen Polen und der Europäischen Kommission bis zum Frühjahr 2024 blockiert. Jetzt laufen neue Programme an. Der PFR leitet die Gelder an private VC-Fonds weiter und kurbelt damit Investitionen in Start-ups an. Im Rahmen des Programms Startup Booster Poland erhalten zum Beispiel eine Reihe sogenannter Acceleratoren frisches Kapital aus EU-Fonds. Diese Organisationen helfen Start-ups dabei, ihre bestehenden Prototypen weiterzuentwickeln. Die deutsche Drogeriemarktkette Rossmann gehört zu den Partnern von einem der ausgewählten Acceleratoren.

Ein weiteres EU-gefördertes Programm hilft speziell den Jungunternehmen in Ostpolen dabei, ihre Ideen in ein erstes vorzeigbares Produkt zu verwandeln. Insgesamt sechs sogenannte Inkubatoren - also Entwicklungszentren für Start-ups in der Gründungsphase - haben vom PFR Geld erhalten. Dank der Mittel sollen sie den jungen Kleinstbetrieben eine Arbeitsumgebung anbieten. Ziel des Programms ist auch, das wirtschaftlich schwache Ostpolen weiterzuentwickeln.

Regionale Branchenschwerpunkte der Jungunternehmen

Zu den aktuellen Start-up-Hochburgen gehören die Städte Warschau, Krakau und Wrocław. StartupBlink nennt auch Poznań und Gdańsk als bedeutende Standorte. In jeder Stadt dominiert eine andere Branche. Warschau bietet vor allem Jungunternehmen aus der Gaming-Branche gute Startbedingungen, schreibt StartupBlink. In Krakau dominieren Lösungen aus dem Bereich Digital Marketing, während in Wrocław moderne Medizintechnologien - auch Medtech genannt - die Nase vorn haben.

Polens erstes Einhorn, also ein Start-up mit einer Bewertung von über 1 Milliarde US-Dollar, stammt ebenfalls aus der Medtech-Branche. Patienten können mit der Software des Unternehmens Docplanner Arzttermine vereinbaren und Praxen bewerten. Im Jahr 2021 erfolgte mit der Übernahme des Konkurrenten Jameda aus München die Expansion nach Deutschland. Zwei weitere Unternehmen, die Lernplattform Brainly und das Reservierungsportal Booksy, gelten zwar in der polnischen Presse als Einhörner, haben aber keine entsprechende Bewertung vom Kapitalmarkt.

Polnische Start-ups stellen nicht nur Software her. Ein prominentes Beispiel ist das Unternehmen LabFarm aus Lublin. Es arbeitet seit 2022 an Kulturfleisch. Dahinter verbirgt sich, vereinfacht ausgedrückt, Fleisch, das in einer Nährstofflösung heranwächst. Im Juli 2024 erhielt LabFarm einen Forschungszuschuss des nationalen Forschungszentrums NCBR (Narodowe Centrum Badań i Rozwoju).

Schmerzhaft für die Start-up-Landschaft Polens: Einige der erfolgreichsten Start-ups von Gründern aus Polen sitzen mittlerweile im Ausland. Zu diesem Kreis gehören die IT-Spezialisten von ElevenLabs. Das Unternehmen mit einem Marktwert von 1,1 Milliarden US-Dollar hat eine Software erstellt, die mittels künstlicher Intelligenz eine natürlich klingende Stimme erstellt. Die beiden Gründer stammen aus Polen. Hauptsitz von ElevenLabs sind aber New York und London. 

Ähnlich gestaltet sich die Situation beim Satelliten-Start-up ICEYE. Der Gründer stammt aus Polen, das Unternehmen sitzt in Finnland. Immerhin gehören bei beiden Jungunternehmen Kapitalgeber aus dem polnischen Start-up-Ökosystem zu den Investoren.

Finanzierung gehört zu den größten Herausforderungen

Insgesamt stelle Polen zu wenige öffentlichen Mittel für Start-ups mit hochtechnologischen Lösungen (Deep Tech) bereit, klagt Szymon Łokaj von der Beratungsagentur Innology. "Dies könnte weitreichende negative Folgen für die technologische Entwicklung und die Wirtschaft haben", zitiert ihn die Rzeczpospolita.

Das Problem betrifft aber nicht nur Hightech-Start-ups. Wie der Verband der Kapitalgeber VCLeaders vorrechnet, ist der Markt für Wagniskapital in Ländern wie Frankreich mehr als 30-mal so groß wie das Gegenstück in Polen. Fast jedes zweite Start-up in Polen gibt laut einer Umfrage der Stiftung Startup Poland an, dass vor allem in späteren Entwicklungsphasen das Geld fehlt. Noch häufiger klagen polnische Jungunternehmer nur über Personalkosten sowie über Steuern und Sozialabgaben.

Woran es hingegen in Polens Start-up-Ökosystem nicht mangelt, sind Netzwerkveranstaltungen. Zu den wichtigsten Branchenterminen gehören die jährliche Infoshare-Konferenz in Gdańsk, die EEC Startup Challenge in Katowice und der Gipfel Wolves Summit in Warschau.

Von Christopher Fuß | Warschau

Der staatliche Entwicklungsfonds PFR (Polski Fundusz Rozwoju) spielt in Polen eine führende Rolle bei der Finanzierung von Start-ups. Er verteilt öffentliche Gelder über eigene Unterfonds an private Risikokapitalgeber, auch Venture Capital Fonds genannt (VC-Fonds). Diese privaten Gesellschaften wiederum nutzen eigene Mittel und das Geld des PFR, um in Jungunternehmen zu investieren. Das Budget des PFR speist sich aus staatlichen Zuwendungen und aus EU-Programmen.

Unterstützung in unterschiedlichen Entwicklungsphasen

Ein beachtlicher Teil der europäischen Gelder fließt über den PFR in ostpolnische Landesteile. Der staatliche Entwicklungsfonds unterstützt mit Zuwendungen aus dem Europäischen Programm für Ostpolen (FEPW) mehrere Start-up-Inkubatoren in insgesamt elf ostpolnischen Städten. Diese Einrichtungen helfen Jungunternehmen in der Gründungsphase dabei, ein Produkt zu entwickeln. Zu den Trägern gehören Universitäten, Forschungsinstitute, VC-Fonds und Unternehmen. Angehende Start-ups können sich bis Juni 2027 bewerben, um einen Platz in einem der Inkubatoren zu ergattern. Wichtig: Interessierte Jungunternehmen müssen ihren Betrieb in Ostpolen gründen. Besonders innovative Start-ups dürfen außerdem auf einen Zuschuss in Höhe von bis zu 140.000 Euro hoffen. Jeder Inkubator im Programm Start-Plattform (Platforma Startowa) hat einen thematischen Schwerpunkt. Das Netzwerk Mazovian StartUPolis aus Radom sucht beispielsweise Ideen für den Maschinenbau und den Energiesektor.

Der PFR nutzt auch Gelder aus einem EU-Förderprogramm, dass sich an Unternehmen in ganz Polen richtet (FENG). Die Zuschüsse kommen mehreren sogenannten Acceleratoren zugute. Im Gegensatz zu den Inkubatoren richten sich diese Initiativen an Start-ups, die bereits einen Prototyp besitzen und diesen weiterentwickeln wollen. Jungunternehmen aus Polen können neben Beratungsdienstleistungen bis zu 90.000 Euro an Zuschüssen erhalten. PFR listet alle Acceleratoren des Programms Startup Booster Poland auf einer Internetseite.

Darüber hinaus gibt es EU-geförderte Programme, die sich an kleine und mittelständische Firmen richten. Auch Start-ups können sich auf diese Mittel bewerben.

Polnische Fonds beteiligen sich an deutschen Start-ups

Ausländische Jungunternehmen erhalten in der Regel keine direkte Unterstützung aus den PFR-Programmen - es sei denn, der Betrieb baut einen Sitz in Polen auf. Polnische Start-ups, die ins Ausland expandieren wollen, profitieren wiederum von PFR-Programmen wie Start-ups Are Us. Es umfasst Schulungen, Auslandsreisen und Treffen mit potenziellen internationalen Kunden.

Private polnische VC-Fonds, die Mittel vom PFR erhalten, investieren hingegen regelmäßig in ausländische Jungunternehmen. Die Warschauer Gesellschaft Market One Capital beispielsweise hält Anteile am Elektrorollerverleih Tier Mobility aus Berlin. Inuru, ein Berliner Start-up, das an druckbaren OLED-Lampen forscht, erhielt 2023 Unterstützung vom polnischen Wagniskapitalgeber Aria VC. Mit Adamed Technology ist auch der Investitionsfonds eines Pharmakonzerns aus Polen bei Inuru eingestiegen. Hinter Adamed Technology steht das Unternehmen Adamed Pharma.

Laut einer Datenbank des PFR arbeiten mindestens 881 VC-Fonds und weitere Investitionsgesellschaften in Polen. Neben den genannten Unternehmen gehören bValue und Inovo zu den besonders sichtbaren Spielern am Markt. Die thematischen und geografischen Schwerpunkte fallen sehr unterschiedlich aus. Der polnisch-tschechische Fonds Credo investiert zum Beispiel ausschließlich in Unternehmen aus Ostmitteleuropa.

Ähnlich wie Adamed Pharma betreiben noch weitere Konzerne aus Polen eigene Risikokapitalgesellschaften. Besonders die Banken, darunter die staatliche PKO Bank oder die Alior Bank, suchen über solche Tochterfirmen nach innovativen Jungunternehmen. Auch der Energiekonzern Orlen oder der Chemieriese Qemetica (ehemals Ciech) besitzen sogenannte Corporate Venture Capital Fonds (CVC-Fonds).

Orlen investierte 2023 in das deutsche Start-up für Batterie-Software Circunomics. Der Hersteller von Akku-Wechselstationen Swobbee aus Berlin durfte sich im April 2023 über eine Beteiligung der Investmentgesellschaft SpeedUp Energy Innovation freuen. In diesem VC-Fonds engagiert sich der polnische Energieriese PGE. Die Wechselstationen von Swobbee befinden sich mittlerweile auch in Städten wie Sopot und Gdynia.

Trend bei der Förderung

Die Förderlandschaft Polens konzentriert sich laut Untersuchungen von Startup Poland vor allem auf Jungunternehmen in einer sehr frühen Wachstumsphase - die sogenannte Seed-Phase. Zahlen der Investoren-Datenbank des PFR belegen diesen Umstand. In der Datenbank stehen siebenmal so viele Seed-Risikokapitalgeber gelistet wie Partner für die späteren Finanzierungsrunden, auch Series A und Series B genannt.

Seit 2020 setzen die polnischen VC-Fonds nach Angaben des PFR vermehrt auf Lösungen im Medizinsektor (MedTech). Mittlerweile gibt es in Polen mehr als 380 Start-ups aus diesem Industriezweig. Die Firmen behaupten sich auch auf dem deutschen Markt. So konnte beispielsweise Infermedica aus Wrocław die privaten Sana Kliniken sowie die Gothaer Versicherung und die Techniker Krankenkasse als Kunden gewinnen. Infermedica stellt Diagnose-Software her, die mit künstlicher Intelligenz arbeitet.

Von Christopher Fuß | Berlin